Zahlen wir zu viel Steuern, Julia Jirmann?

Shownotes

In dieser Folge von Soundcheck Politik spricht SPD-Fraktionsvorsitzender Andreas Stoch mit Julia Jirmann. Julia ist Referentin im Netzwerk Steuergerechtigkeit. Gemeinsam diskutieren die beiden über die Herausforderungen der Staatsfinanzierung, die Rolle von Steuern und Gerechtigkeit im Gemeinwesen sowie die Auswirkungen von Ungleichheit auf die Gesellschaft.

Das deutsche Steuersystem ist komplex. Es gilt als verschachtelt, teilweise intransparent – und immer wieder als ungerecht. Doch Julia Jirmann liebt solche Herausforderungen. Sie hat sich dem Steuersystem verschrieben, denn Steuern bilden die Grundlage eines funktionierenden Gemeinwesens. Sie sind notwendig, um Aufgaben wie Bildung, Infrastruktur oder Sicherheit zu gewährleisten. Der Staat erhebt Steuern also nicht zum Selbstzweck, sondern um die Lebensgrundlage für alle Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.

Zu Beginn der Folge sprechen Andreas und Julia über ein Phänomen, das in mehreren Ländern zu beobachten ist: Steuern werden zunehmend als übergriffig empfunden – Stichwort Elon Musk und Javier Milei. Dabei zeigen gerade die USA und Argentinien, wie stark sich eine ungleiche Verteilung von Macht und Vermögen auf Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken kann. Und auch Deutschland ist davon nicht ausgenommen: Gemessen am Vermögen gehört die Bundesrepublik zu den ungleichsten Ländern der Industriestaaten.

Julia Jirmann erklärt, dass vor allem mittlere und niedrige Arbeitseinkommen in Deutschland besonders stark belastet werden – im OECD-Vergleich belegt Deutschland Platz zwei. Gleichzeitig sind hohe Vermögens-, Kapital- und Erbschaftseinkommen vergleichsweise gering besteuert. Die Steuerquote selbst ist seit Jahrzehnten konstant geblieben. Der Eindruck, der Staat greife immer stärker zu, lässt sich empirisch nicht belegen. Vielmehr geht es um eine gerechtere Verteilung innerhalb des bestehenden Aufkommens: Kleine und mittlere Einkommen entlasten – und sehr hohe Vermögen stärker in die Verantwortung nehmen.

Ein zentrales Problem bleibt die mangelnde Transparenz: Während es über die Mitte der Gesellschaft verlässliche Daten gibt, fehlen belastbare Zahlen zu den reichsten Vermögensgruppen. Seit dem Aussetzen der Vermögensteuer in den 1990er Jahren gibt es keine umfassende staatliche Erhebung mehr – diese Leerstelle füllen bislang eher Journalisten als die Wissenschaft.

Natürlich geht es auch um Musik! Julia verrät ihre musikalischen Vorlieben: von Indie- und Art-Pop-Künstlerinnen wie Caroline Polachek und FKA Twigs bis hin zu Künstlern wie Taylor Swift und Bruce Springsteen – und auch elektronische Musik darf als Berlinerin natürlich nicht fehlen.

Im Soundwechsel kommt Tim Klüssendorf aus Lübeck zu Wort. Tim ist Sprecher der Parlamentarischen Linken, Mitglied des Deutschen Bundestags und dort im Finanzausschuss tätig. Die Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer Union-SPD-Regierung hat er ebenfalls in der Arbeitsgruppe Finanzen und Haushalt begleitet. Im Soundwechsel spricht er über den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD. Tim blickt sehr rational auf die Ergebnisse – für ihn ist klar: Die Beschlusslage der SPD zu den Themen Erbschaftssteuer und Vermögensteuer findet sich im Vertrag nicht wieder. Dennoch bleibt er überzeugt, dass stärkere Schultern mehr tragen müssen. Diese Haltung unterstreicht er mit einem Song, der dazu aufruft, zweimal hinzusehen – denn während einige im „Paradies“ leben, kämpfen andere ums Überleben. Ein klarer Appell an Mitgefühl und gesellschaftliche Verantwortung.

Im zweiten Teil des Gesprächs geht es um die Erbschaftssteuer. Diese, so Julia, sei das eigentliche Instrument, wenn es um mehr Steuergerechtigkeit und faire Vermögensverteilung gehe. Der Reformbedarf sei hier sogar noch größer als bei der Vermögensteuer. Mehr als die Hälfte des Vermögens in Deutschland ist bereits vererbt oder verschenkt worden. Das oberste Zehntel der Bevölkerung erhält jährlich über die Hälfte des gesamten Erbschafts- und Schenkungsvolumens. Ein Thema, das im aktuellen Koalitionsvertrag vollständig ausgespart wurde – möglicherweise in Erwartung eines Urteils aus Karlsruhe.

Zum Abschluss formuliert Julia drei konkrete Reformvorschläge für ein gerechteres Steuersystem: Reform der Erbschaftssteuer: Abschaffung der großzügigen Ausnahmen für sehr große Vermögen und mehr Chancengleichheit für Menschen ohne Erbschaften. Mindeststeuer auf Milliardenvermögen: Damit auch die reichsten Teile der Gesellschaft angemessen zum Gemeinwesen beitragen. Einführung einer Digitalsteuer: Damit internationale Digitalkonzerne ihren gerechten Anteil zahlen.

Highlights der Folge: • Warum Deutschland trotz hoher Belastung bei Arbeitseinkommen kein Hochsteuer-, sondern ein Hochbeitragsland ist • Wie Vermögen in Deutschland ungleich vererbt wird – und warum die Erbschaftssteuer dringend reformiert werden muss • Was wirklich wirkt: Warum pauschale Steuersenkungen nichts bringen und gezielte Investitionen der bessere Weg sind

Links: Andreas Stochs Website SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg Netzwerk Steuergerechtigkeit

Redaktion: Marcel Bürkle Produktion: Pascal Seez Jingles: Podcastliebe Grafik: freiGut Berlin

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